Maike Hempel

Ich lästere nie wieder über Beamte

Gestern musste ich zur Kindergeldkasse, weil es da mit den Zeugnissen meiner Tochter Missverständnisse gegeben hat, und ich jetzt jede Menge Geld zurückzahlen soll. Dort angelangt, stelle ich verwundert fest, dass gar nicht so viel los ist. Vor mir stehen zwei Leutchens am Schalter, mehr nicht.

Ich reihe mich somit in die Warteschlange ein. Während ich da stehe und warte – manche Leute verstehen klare Ansagen nicht und fragen nochmal und nochmal nach, bis selbst ich verstanden habe, worum es bei ihnen geht – fühle ich mich ernsthaft von zwei nicht Deutsch sprechenden Mitbürgern gestört (ein Mann und eine Frau), die da an einem Tisch lungern, und sich lautstark unterhalten.
Hinter mir steht ein Herr, den ich zuvor im Fahrstuhl schon getroffen hatte und der fragt mich, ob er eben vor könne, er hätte nur eine kurz Frage. „Klar“, antworte ich.

Der Mann hat noch nicht einen Schritt auf den inzwischen freien Schalter zugemacht, da kreischt die junge Frau vom „Lungertisch“ auf: „He, war isch vorher da, es gibt Schlange!“

„Nur die Ruhe“, antwortet der Mann, der mich so höflich gefragt hatte, „ich habe ja nur eine kurze Frage.“

Die zwei vom „Lungertisch“ erheben sich schnaubend, halten aber den vorgegebenen Abstand, der ja gehalten werden soll, nicht ein, und stürmen los. Aber macht nichts, wahrscheinlich haben sie es nicht verstanden.

Endlich sind sie an der Reihe. Sie fuchtelt wie wild mit Zetteln vor der Nase der Beamtin herum und fordert mit einer Jammerstimme, die jedem arabischen Klageweib zur Ehre gereicht hätte, dass man ihr das Kindergeld jetzt und hier und sofort auszahlen muss. „Hab isch Rescht auf Kindageld, weiß isch doch!“

Da geht mir schon der Kragen hoch, was ist das denn für eine Ansage! Sich schlecht benehmen, aber auf den Rechten pochen! Das kann ich ja ab!

Die Beamtin vertieft sich in das Zettelsammelsurium, gibt die Kindergeldnummer in den Rechner ein, und zieht die Brauen in die Höhe. „Ihr Kindergeld ist schon vor einer Woche bei der Bank eingegangen“, sagt sie kopfschüttelnd, „das verstehe ich nicht.“

„Die bei Bank sagen, muss isch hierher kommen, sie zahlen nix aus“, jammert die Tante vom „Lungertisch“ in höchsten Tönen, unterstützt von ihrem Begleiter, dessen Deutsch etwas besser ist, und der, nach einer ganzen Weile die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, schließlich brummt, es könne vielleicht … auch … an der Pfändung liegen?!?

Die Beamtin legt zweifelnd den Kopf in den Nacken, ich hole tief Luft, weil der Schwall von jammernden Tönen kaum mehr zu ertragen ist, und wieder erschallt die bereits bekannte Stimme: „Dann nehme isch Kindageld nicht von Bank, sondern von hier.“

Ich für meinen Teil komme nicht umhin, die Beamtin hinter dem Schalter zu bewundern. Mit nonchalantem Schulterzucken erklärt sie wieder und wieder, dass sie für die Pfändung nicht zuständig sei und erwähnt nur am Rande die Verantwortungslosigkeit der Eltern, die es so weit kommen lassen, dass die Bank kein Geld mehr raus tut. Weil: Zur Kindergeldzahlung sind sie „eigentlich“ verpflichtet.

Zwei weitere Jammeranforderungen müssen alle noch ertragen, dann versteht die Frau endlich, dass sie hier an der falschen Adresse ist und trollt sich.

Endlich bin ich dran, allen Göttern sei Dank. Hätte ich zehn solcher Leute vor mir gehabt, wäre ich wahrscheinlich geplatzt. So ein Benehmen ist untragbar!

Da ich gut vorbereitet bin und alle Unterlagen dabei habe, geht es bei mir zügig voran. Allerdings ist auch in meinem Fall alles etwas durcheinander gegangen, mit den Arbeitszeugnissen, die eigentlich Praktikumszeugnisse heißen müssten, so aber nicht benannt wurden, weil das bei der Fernsehproduktion nicht bekannt war, so dass die gut Frau nach der vierten Bescheinigung wie ein wandelndes Fragezeichen aussieht und mich kurzerhand an einen Kollegen im neunten Stock verweist.

Dort angekommen sage ich abermals mein Sprüchlein auf. Ich erzähle vom praktischen Jahr, das Schüler brauchen, um die Fachhochschulreife zu erlangen, erkläre, dass die Zeugnisse bei der ersten Firma sich alle auf das Praktikum beziehen, das erste Zeugnis der zweiten Firma auch, und dass sie Sekretärin wohl beim letzten Zeugnis nicht drauf geachtet hat, und es einfach falsch benannt hat.

„Ja, äh, dann ist es doch kein Praktikum!“, meint mein Gegenüber.

„Natürlich ist es ein Praktikum“, versichere ich dem Herrn. „Um die Fachhochschulreife zu erlangen müssen die Kids ein Jahr lang in der gleichen Branche praktizieren, wobei sie natürlich auch arbeiten. Verdienen dürfen sie im Jahr bis zu 7500 €, dann bin ich immer noch Kindergeldberechtigt“, lege ich los, allerdings in echt nett…

„Sind Sie sicher?“, fragt mich der „Fachmann“ hinter dem Schalter.

Ich nicke. „Ganz sicher! Ich hatte Anfang des Jahres mehrfach mit all den Kollegen telefoniert, deren Namen sie auf den Formularen sehen können, die haben mir das alle bestätigt.

„Und jetzt soll ich das Praktikumszeugnis nachreichen, weil es als Arbeitszeugnis falsch beschriftet war?“, fragt er und tut mir fast leid. Inzwischen ist es drei Uhr nachmittags und ich will nicht wissen, was er schon hinter sich hat.

„Genau“, freue ich mich. Das ist der richtige Weg, jetzt kommt nach all den zig Formularen die man mir immer und immer wieder schickt, vielleicht Bewegung in die ganze Geschichte…

„Na“, brummt der Mann und drückt einen Eingangsstempel auf das Formular und das von mir eingereichte, inzwischen verbesserte, Zeugnis. „Sie hören dann von uns.“

Ich grinse ihn an. „Will heißen, Sie schicken mir erneut Formulare zu, die ich dann wieder ausfülle und so???“

„Ja“, nickt der Beamte, „so ist das hier eben. Gut Ding will Weile haben. Aber danke, dass Sie so geduldig waren!“

„Na, mit Ihnen möchte ich nicht tauschen“, schnaube ich aus tiefstem Herzen. „Ich hatte unten schon das Vergnügen zu warten!“

„Ja, an Tagen wie heute verfluche ich diesen Job!“, seufzt der Mann.

„Also die benehmen sich ja hier, ich fasse es kaum. Gerade war unten eine Kundin, die sprach noch nicht mal richtig Deutsch, hat aber einen auf dicke Hose gemacht. Also die hätte ich ja mal zusammengefaltet!“

„Oh, sagen Sie das bloß nicht so laut, das kommt hier nicht gut an“, warnt mich der nette Herr hinter seinem Schreibtisch und sein Blick verliert sich irgendwo hinter mir.

Arglos wie ich ja aber bin, halte ich mich nicht zurück. „Hallo? Ich war auch mal Ausländer in Spanien, und bevor ich die Sprache nicht richtig beherrscht habe, hatte ich ein Wörterbuch dabei und war für jeden Beamten der sich Zeit für mich genommen hat DANKBAR!“, schnaube ich weiter.

„Ach ja“, stöhnt der unglückliche Beamte, „ich leite ihre Unterlagen weiter, das wird dann schon.“

Ich weiß im Nachhinein nicht mehr, was mir zuerst auffiel, als ich umdrehte… Ich hatte die Tür nicht geschlossen, weil ich ja zuvor alleine auf dem Flur wähnte… Jetzt stelle ich fest, dass ich inzwischen doch einige Zuhörer hatte. Einige von ihnen grinsen, ein anderer schaut mich aus glühenden schwarzen Augen an. Himmel, mir ist ganz kalt geworden. Aber wieso eigentlich? Ich habe nichts gesagt, was man in nicht sagen sollte, ich habe auch nichts gegen Ausländer. Wirklich nicht. Ich schätze den türkischen Schneider ebenso wie meinen türkischen Schuster, kenne Marokkaner, mit denen ich herzlich verbandelt bin. Auch unser „Herr Schwarz“ vom Paketdienst ist ein Schatz, von dem viele Deutsche noch lernen könnten, was gute Laune im Klartext bedeutet.

Allerdings beherrschen all diese Menschen ein und die selbe Sprache. Und diese sollten man doch bitte können, und und wenn nicht, zumindest den Ton und die Höflichkeit wahren. Diese Schreihhälse haben nämlich nicht mehr Rechte als all die anderen, die sich anstellen und höflich ihr Anliegen vorbringen.

2 Antworten zu “Ich lästere nie wieder über Beamte”

  1. Ariane Glaess sagt:

    Es war wie immer ein Genuss! Toll und leicht zu lesen, Wahrheiten schön in eine Geschichte verpackt. Es regt zum Nachdenken an, vielleicht denkt man über das eigene Verhalten nach oder macht in gewissen Situationen auch mal den Mund auf, weiter so Jani

  2. Nicole J-B sagt:

    Da ich selbst seit 31 Jahren im Öffentlichen Dienst bin, war ich gespannt, was die Überschrift „ich lästere nie wieder über Beamte“ bedeutet. Ich musste mega schmunzeln, weil es wirklich wie aus dem Leben gegriffen ist. Hatte das Gefühl als wäre ich in der Reihe dahinter und durfte alles live mitbekommen. Wenn ich dabei gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich meinen Senf dazu gegeben, denn ich kann bei sowas auch nicht den Mund halten – lach.
    Und solch ein Benehmen hat gewiss nichts mit der Nationalität zu tun. Das können hier viele Deutsche auch sehr gut. 😛 Leider.

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