Macht mich Fernsehen glücklich?
Mo., 22. August 2011
Ich zappe mich durch die Sender und lande bei Tine Wittler, die derzeit nicht nur aus Häusern Traumwohnstätten erschafft, sondern neuerdings auch aus regelrechten Müllhalden Wohnlandschaften zaubert. Wohl bemerkt – nachdem dort jemand (meist ganz viele, fleißige Arbeitskräfte) den Müll entsorgt haben, versteht sich.
Während ich so schaue und staune, fällt mir wieder ein, dass ich dringend die Küche renovieren muss. Allerdings lerne ich im Verlauf der Sendung, dass ich definitiv etwas falsch mache, denn: Die Priorität beim Einkaufen liegt nicht schwerpunktmäßig beim Baumarkt wenn ich renovieren will, nein, ohne das entsprechende Outfit geht gar nichts. Sonst werde ich niemals so gut sein wie die bekannte Moderatorin.
In Gedanken sehe ich mich schon durch die Stadt laufen. Ein Paar neue Schuhe sollten es sein, am besten Highheels, mit denen ich dann wie der Storch im Salat über die mit Farbe bekleckste Plastikfolie starckse, natürlich ohne dieselbe mit Löchern zu zerstören. Desweiteren geht nichts ohne eine neue Bluse mit Rüschen im Dekolleté. Selbstverständlich sind lange Ärmel dran, die mindestens bis auf die Hälfte meiner Handflächen reichen. Das schmeichelt meinen kurzen Armen, auch wenn es die Arbeit nicht unbedingt erleichtert. So es denn Herbst sein sollte, bis ich mit dem Renovieren beginne, muss ein neuer Trenchcoat her, das habe ich bei Tine Wittler gelernt. Die Optik muss stimmen wenn man sich auf die Baustelle begibt, sonst wird das nie was.
Ach, fast hätte ich es vergessen. Ebenfalls bevor ich mit der Küche überhaupt näher befasse, benötige ich eine frische Maniküre. Dann – und erst dann – kann ich wirklich loslegen. Weil ich erst dann in die beglückende Situation gerate, den Pinsel mit meinem Daumen, dem Zeige- und Mittelfinger meiner rechten gepflegten Hand (ich bin Rechtshänder) liebevoll in die Farbe gleiten zu lassen, um anschließend die Borsten dekorativ und voller innerer strahlender Heiterkeit über ein Hölzchen, eine Leiste oder gar den Küchenschrank gleiten zu lassen. Dabei gebe ich mich konzentriert und lächle befriedigt. – selbstverständlich erst nachdem Pinsel samt Farbe ihr Ziel erreicht haben, man muss eine solche Leistung schließlich entsprechend würdigen…
Haaach, es tut so gut vor sich hin zu träumen, ehrlich!
Leider sind die Wände in der Küche nur vom Träumen noch immer nicht gestrichen, von der Decke ganz zu schweigen. Nun kommt wohl langsam doch der Zeitpunkt, an dem ich die Sache realistisch angehen sollte. Ohne Fernsehteam im Hintergrund, ohne hilfreiche Mainzelmännchen, die die Vorarbeit leisten, und ohne Maskenbildnerin, die sich um mein Äußeres kümmert. Ich krame ergo die alten Turnschuhe aus dem Keller, werfe mich in die Jogginghose und das ausgewaschene T-Shirt (ohne Rüschen), pfeife auf Maniküre und Make-up, klebe den Küchenboden selbst ab, rolle und rolle und rolle Farbe auf die Küchendecke – nicht ohne mit ein klein wenig Neid an „die Lieben“ von Tine Wittler zu denken, die während ich dumme Suse die ganze Arbeit an der Backe habe, auf Kosten des Senders ihre Baustelle verlassen dürfen und zur Wellness-Oase verfrachtet werden.
Panne aber auch!
Bahn für Bahn rolle ich mich endlich über die Raufaser an der Wand dem Ziel einer „neuen“ Küche entgegen, als mir eine Idee kommt: Was, wenn ich einfach ein altes, völlig vergammeltes Haus kaufe? Auch das fällt immerhin in Tine Wittlers Zuständigkeitsbereich, die löst jedes Problem. Über Badezimmerkacheln, Elektroinstallationen und andere Nebensächlichkeiten könnte ich somit großzügig hinwegsehen, über quietschende Fenster ebenfalls; von Türen, die vor Ölfarbenschichten nur so strotzen, ganz zu schweigen. Das Fernsehen macht das schon. Dann klaue ich meiner jetzigen Vermieterin sämtlichen vorhandenen Plastikmüll aus der Tonne, sammle beim Sperrmüll alte Matratzen (im besten Fall mit einer absolut ekligen Duftmarke), verteile all diese unappetitlichen Habseligkeiten in meinem neuen/alten Zuhause und rufe beim Fernsehen an.
Und schon kommt Tine?
Kann das Leben wirklich so schön sein?
Inzwischen ist die Küche in meiner realen Welt fertig geworden. Nur noch schnell Möbel einräumen, Hängeschränke an die Wand bringen, Regale aufhängen, dann ist er da, dieser magische Moment, an dem ich zu Tine Wittler in Persona Grata mutiere! Nur noch eben Fingernägel maniküren, Make-up im Gesicht verteilen, und „schwupps“ drapiere auch ich – mit einem seligen Lächeln auf meinen rot geschminkten Lippen, einschließlich einer huldvoll ehrfürchtig dahin schwebenden Handbewegung – meine neue Deko in der Küche.
…Nur will mir die Idee mit dem preiswerten alten Häuschen nicht aus dem Kopf.
Das wäre sicherlich lukrativer, als sich bei den Öffentlich Rechtlichen mit „ter Pörse“ rumzuschlagen; von der Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinns will ich an dieser Stelle nicht ansatzweise reden.
Und es wäre weniger arbeitsintensiv, als die olle Küche selbst zu renovieren.
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