Maike Hempel

Götter-Dämmerung?

Nein. Aber den Göttern dämmert es…

Die Welten verschmelzen, die alten Grenzen schwinden. Die Globalisierung ist längst auch bei den Göttern angekommen…

Über einer silbern schimmernden Wolkenschicht erkennt man auf dem Olymp verwaist den Tempel des Zeus. Einige Ebenen weiter erhascht man einen verschleierten Blick auf Avalon, die heilige Apfelinsel, deren Zugang verwehrt bleibt. Auch das himmlische Reich, das man (egal in welcher Religion) Paradies nannte, ist längst verlassen. Das Tor des heiligen Petrus hängt traurig in seinen Angeln, weil keiner der Sterblichen mehr den Weg dorthin findet.

Die Götter der vergangenen Welten sitzen in einer großen, runden Halle, deren Mittelpunkt im Schatten der Krone des Weltenbaums liegt, dessen uralter knorriger Stamm sich durch eine Öffnung im Dach dem strahlend blauen Himmel entgegen streckt. Hoch ist die Halle geworden, damit die Riesen und Titanen aus lange vergessenen Sagen genug Platz darin finden. Der Anblick der unterschiedlich hohen Stühle, Sessel und Tische hat etwas surreales, wie in einem Gemälde von Salvador Dalí.

Und so sitzen sie da, die Götter der Menschheit und verstehen die Welten nicht mehr. Wo einst feindliche Gefühle und Eifersucht um die Gunst der Sterblichen überwog, herrscht heute niedergeschlagene Gelassenheit.

„Nichts hat es gebracht“, beschwert sich der Gott der Christen schulterzuckend und streicht sich mit den gichtgeplagten Fingern durch den langen, weißen Bart. „Was ist an zehn Geboten so schwer zu verstehen?“ fragt er ungläubig und blickt fragend in die Runde. „Da kann doch eigentlich nicht so viel schief gehen, oder? Liebe deinen Nächsten habe ich gesagt, nicht ‚geh auf ihn los und hau ihm den Schädel ein‘. Außerdem lügen sie in meinem Namen, dass sich die Balken biegen. Kann mir das vielleicht einer erklären?“

„Da sagst du was“, antwortet Allah niedergeschlagen und schüttelt das weise Haupt. Zwischen seinen Fingern schiebt er Perle für Perle seiner Gebetskette voran, verharrt für einen Augenblick in seiner Bewegung und starrt die glänzenden Perlen an, als könnten sie ihm die erhoffte Antwort geben. „Ich habe ihnen den Propheten geschickt und mit ihm die fünf Säulen des Koran. Fünf Gebote weniger, wenn du so willst, aber auch damit scheinen sie überfordert zu sein. Die Greultaten auf dem blauen Planeten nehmen kein Ende.“

„Das waren eben noch Zeiten“, lacht Odin, der Kriegsgott der Germanen, auf. Seine tiefe, bedrohliche Stimme hallt von den Wänden zurück. Erwartungsvoll schaut er mit seinem rechten Auge in die Runde. Er wirkt ein wenig fehl am Platz, in seinem dunklen, wallenden Mantel und dem Schlapphut, dessen Krempe sein linkes, blindes Auge verdeckt. „Als ich noch Gottvater und Herr der wilden Schlachten war“, ruft er begeistert, „hat man in allen neun Welten gerne und gut getötet und ist an meiner Tafel in Walhall gelandet, so man einen ehrenwerten Kampf geliefert hat.“

„Und hat sich falsch herum an einen Baum gehängt und ein Auge geopfert um weise zu werden“, spottet Jesus abfällig. „Vergessen haben sie dich trotzdem.“

„Allemal besser, als für nichts und wieder nichts ans Kreuz genagelt zu werden. Die haben seit zweitausend Jahren den Sinn deiner Worte nicht begriffen, Jüngelchen, denk an meine Worte“, giftet Odin und fuchtelt drohend mit seinem Speer in der Luft herum.

„Hört doch endlich auf zu streiten“, mischt sich Freya, Odins Frau, in die Unterhaltung ein. „Fast glaube ich Politiker lamentieren zu hören! Wir sind hier im Himmel und nicht in einem dieser verlogenen Parlamente dort unten in den Welten.“ Aufgebracht wirft sie ihre flachsblonden Haare über den Rücken und sieht Odin herausfordernd an. „Wir wollten die Vorgänge dort unten stoppen, ihnen eine Warnung zukommen lassen. Es bringt uns keineswegs weiter, hier auch noch in Glaubenskriege zu verfallen!“

„Wie aber soll das gehen, wenn sie uns keine Beachtung mehr schenken?“, donnert Thor, der Sohn von Odin und Freya, der dem Met bis dato reichlich zugesprochen hat. Mit wütend aufblitzenden Augen lässt er seinen Hammer Mjölnir auf die hölzerne Tischplatte krachen, die unter der Wucht splitternd bricht. „Erforschen tun sie! Alles was geht! Auf die Idee, dass wir ihnen ein Zeichen geben könnten, kommen die doch in ihrer Überheblichkeit nicht einmal mehr!“

„Du bist doch nur beleidigt, weil sie nicht im Mindesten an irgendwelche Götter gedacht haben“, neckt ihn Freya belustigt und schüttelt den Kopf. „Trotz aller Blitze die du und Poseidon ihnen hinterhergejagt haben. – Und obwohl Zeus die Erde hat beben lassen. Sie haben euer Gottesurteil nicht einmal erkannt, es stattdessen Tsunami genannt und arbeiten derzeit an einem Warnsystem.“

„Ja“, bestätigt der Gott der Christen verzagt und sein Gesicht spiegelt schiere Ratlosigkeit. Er schenkt sich aus dem Kristallkrug noch ein Glas Wein ein, der dunkel wie Blut schimmert. „Die brauchen keinen neuen Noah und seine Arche schon gleich gar nicht.“

„Ach ja“, frohlockt Luzifer, der in seinem goldenen Sessel sitzt und das Gesicht zu einem hämischen Grinsen verzieht. „Warten wir noch ein Weilchen, dann sind die Eisbären schon mal hinüber. Die haben ja damals schon nur für Ärger in dem hölzernen Kasten gesorgt…“

„Stimmt!“, bestätigt Hades zufrieden und reibt sich beide Hände. „Und in Anbetracht der Tatsache, dass jetzt auch die Bienen vom Aussterben bedroht sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis in der Unterwelt endlich wieder die Hölle los ist.“

„Was denn, die Bienen auch?“, fragen Freya und die Hüterin des Kessels wie aus einem Munde. Als Naturgottheiten können sie das Gehörte kaum fassen.

„Vergesst nicht die Urwälder, die sie abholzen“, säuselt Luzifer und seine Augen strahlen. „Trotz all der warnenden Stimmen. Sie danken uns nicht, für die schöne Welt, die wir ihnen schenkten. Und sie schaffen das mit dem Untergang, da halte ich jede Wette!“

„Und alles nur wegen schnödem Mammon!“, regt Jesus sich auf. „Das habe ich schon vor Jahrtausenden vorausgesagt.“

„Es hat aber keiner ver-stan-den“, freut sich Luzifer und kaut genüsslich auf seiner Unterlippe herum. „Die paar Gottheiten, die da unten momentan noch angesagt sind, halten nicht mehr lange durch. Spätestens dann beginnt die Zeit der Unterwelt.“

„Toll“, sagt Zeus trocken. „Das kann ja heiter werden. Die alten Werte sind futsch, die Natur geht flöten und an uns erinnert sich keiner mehr. Die Drachme ist auch abgeschafft, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Immerhin die älteste Währung auf diesem Planeten. Wenn ich so richtig drüber nachdenke, möchte ich ihnen gar nicht mehr helfen.“

„Zu gütig von dir“, bemerkt Hades Dankbarkeit heuchelnd und schenkt dem Gottvater den Weinkrug erneut bis zum Rand voll. „Ihr habt viel zu lange gezögert und nicht eingegriffen. So wie die Pappnasen da unten in der Eurokriese. Immer habt ihr wieder gedacht, es ging noch ein letztes Mal gut. Aber es kommt, wie es immer kommt. Irgendwann platzt die Blase.“ Er kichert leise in sich hinein und tätschelt Kerberos, dem Höllenhund, der zu seinen Füßen liegt, den Kopf. Verschlafen schielt der Hund zu seinem Herrn auf, döst dann jedoch weiter, als ahne er, dass sein Einsatz noch nicht gekommen ist.

„Kein Hilfspaket von uns für sie?“, fragt Allah und sieht zweifelnd in die Runde.

„Es sind wahrlich irre Zeiten“, mischt sich der indische Gott Shiva in die rege Unterhaltung ein und streicht sich nachdenklich mit Zeige- und Mittelfinger über die aschegraue Stirn, in deren Mitte das dritte Auge prangt. „Sie beginnen das Erbgut zu verändern, ohne die geringste Ahnung zu haben, welche Auswirkungen das haben wird. Nicht mehr lange und die Bauern haben keine Möglichkeit mehr, unbehandelte Samen unter die Erde zu bringen.“

„Ich glaube, jetzt trinke ich auch Einen!“, sagt Allah erschüttert, dachte er doch, wirklich einen guten Weg für die Menschen auf der Erde gefunden zu haben.

„Skol!“, brüllt Odin hoch erfreut und hebt seinen Speer über den Kopf. „Also doch endlich die Dämmerung der Götter! Darauf trinken wir Einen. Endlich ziehen wir wieder in die Schlacht. Flammen und Rauch werden den Himmel verdunkeln, der Weltenbaum brennt und Fluten überspülen die Welten. Aus dem Chaos entsteht eine neue Ordnung und alles beginnt von vorne.

„Och nee“, stöhnt Loki und seine feuerroten Haare stehen ihm zu Berge. Er ist halb Riese halb Gott, der Gestaltenwechsler, der Listige. „Nicht schon wieder!“, ruft er und lässt den Kopf auf die Tischplatte neben seinem Becher Met sinken. „Das ertrage ich nicht nochmal. Bitte nicht!!!“

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